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Gelebte Gemeinschaft: Wie Emmas Unverpackt Fulda anders wirtschaftet

Unverpacktes Einkaufen ist mehr als plastikfrei einzukaufen – es ist eine andere Art zu wirtschaften. Immer mehr Läden wählen dafür den gemeinschaftsbasierten Weg. Heute sprechen wir mit Anita und Jörg, die Emmas Unverpackt Fulda gemeinsam mit anderen als Verein führen.

Wer seid ihr und welche Aufgaben übernehmt ihr im Laden?

Jörg: Ich bin Jörg Oelmann, erster Vorsitzender des Vereins. Zweimal pro Woche habe ich Ladendienst, außerdem kümmere ich mich um Bestellungen und vieles von dem, was im Hintergrund laufen muss, damit der Laden funktioniert.

Anita: Und ich bin Anita Oelmann. Ich betreue unsere Social-Media-Kanäle und die Öffentlichkeitsarbeit, mache ebenfalls Bestellungen und übernehme Aufgaben, die im Hintergrund anfallen. 

Erzählt mal: Welche Geschichte hat der Laden?

Jörg: Emmas Unverpackt wurde 2019 von drei Frauen gegründet, die den Unverpackt-Gedanken nach Fulda bringen wollten. Anfangs lief alles gut – bis Corona kam. Nach fünf Jahren, also 2024, war die Luft raus, zudem wollten die Gründerinnen kürzer treten.
Anita war seit Ende 2023 in der GbR und ich habe als Familienangehöriger mitgearbeitet. Im Team haben wir uns dann gefragt: Wie können wir den Laden  erhalten? Und schnell war klar: Wir könnten uns vorstellen, das ehrenamtlich zu übernehmen und als Verein weiterzuführen.

Anita: In der Anfangszeit des Ladens lebten wir noch in Berlin. Wenn ich bei meiner Schwester in Fulda zu Besuch war, sind wir ab und zu in den Unverpacktladen gegangen. In Gesprächen habe ich erfahren, dass sich der Laden gerade so trägt und sie Unterstützung brauchen. Als es klar war, dass wir nach Fulda ziehen, habe ich im Spaß gesagt: „Ich sehe uns schon an der Kasse sitzen.“ Und nun – genau so ist es gekommen. An der Kasse sitzt allerdings Jörg. 😉

Warum habt ihr euch für das Modell eines Vereins entschieden – und wie lief die Gründung ab?

Jörg: Für uns war die Vereinsgründung der einfachste und stimmigste Weg, den Laden zu übernehmen. Wichtig war uns, dass alles so bleibt wie zuvor: Jeder und jede soll hier einkaufen können, nicht nur Vereinsmitglieder.

Also haben wir zu einem Informationsabend eingeladen – und waren überwältigt von der Resonanz. Viele Stammkund:innen kamen, einige wollten sofort mitarbeiten. Da nahm das Projekt richtig Fahrt auf.

Auch der formale Teil lief erstaunlich reibungslos: Mit Finanzamt und Vereinsregister gab es keinerlei Probleme, und wir haben direkt die Gemeinnützigkeit erhalten.

Das Bild zeigt Jörg und Anita Oelmann auf einem gelben Sofa im Unverpacktladen

Was bedeutet für euch gemeinschaftsbasiertes Wirtschaften?

Jörg: Für uns heißt das vor allem, dass wir den Laden gemeinsam mit Gleichgesinnten führen. Gerade in Zeiten wie diesen gibt das enorm viel Rückhalt. Es zeigt: Wenn sich genug Menschen zusammentun, kann man wirklich etwas bewegen. Und es macht unheimlich viel Spaß. Wir haben ein tolles Team – jede und jeder bringt eigene Stärken ein, und gemeinsam ergänzen wir uns sehr gut. 

Anita: Das merkt man auch ganz praktisch. Manche sind handwerklich geschickt, andere kreativ. Eine aus dem Team organisiert super gern das Lager, andere planen unsere Veranstaltungen.
Wenn wir uns treffen, um zu besprechen, was gut läuft oder wo wir etwas ändern wollen, kann das schon mal drei oder vier Stunden dauern. Das ist manchmal anstrengend, aber wir finden immer zusammen. Wir sind ein richtig gutes Team.
Und dann ist da natürlich der Ladenalltag: an der Kasse zu sitzen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und Produkte zu verkaufen, hinter denen wir wirklich stehen. Das macht den Laden besonders.

Was motiviert eure Mitglieder, im Laden mitzumachen? Und was bedeutet ihnen die gemeinsame Gestaltung des Ladens?

Jörg: Unser Verein hat insgesamt 60 Mitglieder, von denen etwa zehn aktiv im Ladenteam mitarbeiten – jede und jeder so, wie es zeitlich passt. Die meisten machen einmal pro Woche eine vierstündige Kassenschicht. Dazu kommt ein kleineres Kernteam aus drei bis vier Personen, das neben den Kassendiensten auch die Bestellungen übernimmt.

Unser Team ist bunt gemischt. Toll ist, dass mehrere Generationen vereint sind. Von Mitte 20 bis Ende 70 ist alles vertreten. Neu in unserem Team ist eine Studentin.  Einige, die noch nicht in Rente sind, arbeiten in Teilzeit. Einer Kollegin war es zum Beispiel so wichtig, ihren Dienst im Laden weiter zu machen, dass sie ihren Wiedereinstieg in den Beruf darum herum geplant hat: „Dann suche ich mir eben eine Teilzeitstelle – Hauptsache, ich kann hier weitermachen.“ Für manche ist die Arbeit hier fast ein bisschen wie Therapie.

Anita:  Im Laden mitzuarbeiten, bietet auch eine Möglichkeit, wieder in eine Routine zu kommen – aber ohne den Druck eines normalen Jobs. Natürlich muss der Laden laufen, aber bei uns kann man sich in Ruhe einarbeiten und ausprobieren, was zu einem passt.
Für eine Kollegin aus dem Gründungsteam hat der Laden etwas sehr Familiäres. Sie wohnt weit außerhalb und ist richtig aufgeblüht, seit sie die Verantwortung nicht mehr allein tragen muss und trotzdem weiterhin dabei sein kann. Sie macht besonders gern den Samstagsdienst – da ist am meisten los!

Das Bild zeigt die Ladenfront des Unverpacktladens Emmas Unverpackt
Das Bild zeigt eine Wand mit Lebensmittelspendern, die mit Getreide und Getreideflocken gefüllt sind.

Wie wird gemeinschaftsgetragenes Wirtschaften bei euch im Alltag gelebt?

Jörg: Für uns steckt da vor allem viel Idealismus dahinter. Jede und jeder hier steht hinter dem Laden und möchte, dass er erhalten bleibt – das ist der Kern unserer Gemeinschaft. Dieses Gefühl geben wir auch weiter, wenn neue Mitglieder im Ladendienst  dazukommen. Ich sage dann immer: „Lass dir Zeit. Du kannst so lange du magst ohne Druck mitarbeiten. Irgendwann merkst du selbst: Jetzt traue ich mir das zu.“ Erst dann übernimmt man eigene Schichten.

Und wenn mal etwas passiert, ist innerhalb von zehn Minuten jemand zur Stelle. Man wird nie allein gelassen – genau das ist das Schöne: Jeder ist für den anderen da. Krank, im Urlaub oder aus anderen Gründen verhindert? Bisher hat sich immer jemand gefunden, der einspringen kann. Probleme lösen wir entweder telefonisch, per Messenger oder direkt vor Ort. Eines unserer Vereinsmitglieder wohnt zum Beispiel gleich um die Ecke und sagt dann: „Ich bin in fünf Minuten da.“  Dann packen wir es gemeinsam an.

Anita: Wir arbeiten basisdemokratisch und treffen uns regelmäßig zu Ladenteamsitzungen, um alles zu besprechen. Klar, da gibt es auch mal ein Hin und Her, aber wir werden uns immer einig. Das Arbeiten im und für den Laden ist etwas Besonderes. Es ist schön, an der Kasse zu stehen und direkt mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Wir bekommen so viel positives Feedback. Darüber freuen wir uns sehr.

Welche Rolle spielt euer Laden als sozialer Ort – als Begegnungsstätte für Menschen aus der Nachbarschaft?

Anita: Unser Laden soll nicht nur ein Ort zum Einkaufen sein, sondern ein echter Begegnungsraum. Viele setzen sich gern auf unser Sofa, besonders am Wochenende, trinken einen Kaffee und kommen ins Gespräch. Man merkt, dass manche genau deswegen kommen – hier finden sie Aufmerksamkeit, Ruhe und Zeit.

Viele erzählen, wie wohltuend das im Vergleich zu klassischen Supermärkten ist. Neulich sagte eine junge Frau: „Ich war gerade beim Discounter. Ich war noch gar nicht fertig, da hatte die Kassiererin schon den nächsten Kunden dran. Das war furchtbar.“ Bei uns konnte sie entspannt einkaufen. Und wenn jemand sagt: „Ich muss erst mal schauen…“, dann sage ich immer: „Lassen Sie sich Zeit. Hier hetzt niemand.“ Auch viele ältere Menschen genießen es, sich hinzusetzen, einen Kaffee zu trinken und zu sagen: „Kannst du mir das mal einpacken?“ – dieser Austausch gehört einfach dazu.

Jörg: Wir haben zum Beispiel eine neue Stammkundin, die bei unserer Einweihung auf einer vierseitigen Mundharmonika gespielt hat. Jetzt kommt sie regelmäßig, setzt sich hin und schickt uns zwischendurch kleine musikalische Grüße.

Das ist jedes Mal ein kleines Spektakel. Sie kommt nicht nur zum Einkaufen, sondern wirklich, um da zu sein. Solche Kund:innen machen den Laden zu einem Ort, an dem sich Menschen gesehen fühlen. Und sie zeigen uns selbst: Man ist nicht allein. Gerade heute ist dieses Gefühl unglaublich wichtig.

Das Bild zeigt ein gelbes Sofa im Unverpacktladen Emmas Unverpackt in Fulda.

Wie zeigt sich eure Vereinsarbeit noch? Welche Rolle spielt euer Laden innerhalb der Nachhaltigkeits- und Fairtrade-Szene in Fulda?

Jörg: Unsere Vereinsarbeit mit Bildungsauftrag beginnt jetzt richtig. Durch den großen neuen Laden (Anm.: Emmas Unverpackt ist während der Zeit als Verein zweimal umgezogen.) können wir endlich Veranstaltungen organisieren, Fortbildungen anbieten und Leute einladen, die Vorträge zu bestimmten Themen halten.
Angefangen haben wir klein, zum Beispiel mit Verköstigungen. Wir stellen einzelne Produkte vor, wie das Emmer-Korn – ein Urkorn. Dafür haben wir sogar einen eigenen „Emmer-Tag“ gemacht: Da wurde das Korn vorgestellt, Brot und Waffeln gebacken. Mit den großen Räumen können wir solche Aktionen jetzt viel umfassender durchführen. Ein gutes Beispiel ist die VHS, die uns in ihre Nachhaltigkeitsveranstaltungen einbindet. Auch von Kindergartengruppen und Schulklassen werden wir besucht.

Anita: Fulda ist Fairtrade-Stadt. Wir sind seit kurzem im Fairtrade-Team der Stadt aktiv. Ein paar Fair-Trade-Produkte haben wir zwar, aber unser Fokus liegt nicht auf weit gereiste Produkte aus Südamerika oder Afrika – die findet man eher im Weltladen. Für uns bedeutet „fair handeln“ vor allem: Wir zahlen den Landwirt:innen in der Region faire Preise.

Jörg: Slow Food ist in Fulda ebenfalls aktiv. Sie möchten unbedingt einen Ernährungsrat etablieren, und wir ziehen gemeinsam an einem Strang, um die Stadt davon zu überzeugen, dass so etwas wichtig ist.

Anita: Und das macht richtig Spaß. Man merkt, dass viele Leute engagiert sind – viele davon sind gleichzeitig Kund:innen bei uns. Daraus entstehen Gespräche und Vernetzungen, die auch ein zentraler Teil unserer Vereinsarbeit sind. Besonders schön ist, dass unser Wirken mittlerweile auch über die “Nachhaltigkeits-Szene” hinaus gesehen wird: So haben wir zum Beispiel Mitte November den 2. Platz beim Nachhaltigkeitspreis unseres regionalen Energieversorgers verliehen bekommen.

Was sind eure wichtigsten Erkenntnisse auf eurem Weg des gemeinschaftsbasierten Wirtschaftens? Was würdet ihr anderen mitgeben, die diesen Pfad gehen wollen?

Jörg: Das Wichtigste ist: Keine Angst haben. Einfach machen. Wenn man mit Leidenschaft dabei ist und nicht ständig darüber nachdenkt, was alles schiefgehen könnte, funktioniert es. Wir sind viele, und wir tragen das gemeinsam – genau das ist unsere Stärke.

Dabei darf sich niemand als Chef aufspielen. Ein Alphatier ist selten hilfreich – außer alle sind erleichtert, dass diese Person alles übernimmt. Mir wäre das ehrlich gesagt zu viel. Es funktioniert nur, wenn wir die Aufgaben teilen. Der Laden steht und fällt mit den Mitgliedern. Wenn der „Inner Circle“, also das Ladenteam, gut funktioniert und sich niemand allein gelassen fühlt, läuft der ganze Laden. Man muss es einfach wagen – ohne Angst.

Anita: Jeder hat ja seine Stärken und Schwächen. Bei uns ist eine richtige Symbiose entstanden: Jede und jeder kann seine Stärken ausspielen.

Jörg: Oder neue entdecken.

Anita: Genau. Für die Aufgaben, die jemand nicht so gut kann oder mag, hat sich bisher immer jemand anderes gefunden.  Außerdem lernt man mit der Zeit automatisch dazu. Dieses gegenseitige Ergänzen macht alles viel leichter. Klar, manche Entscheidungen müssen im kleineren Team vorbereitet werden, sonst wird es zu groß und unübersichtlich. Aber grundsätzlich klappt es gut – wenn die Gemeinschaft stimmt. Das ist für uns gelebte Demokratie.

Vielen Dank für das Gespräch!

Bild von Lisa Schulze

Lisa Schulze

Lisa ist überzeugt: Die gute Zukunft für alle entsteht dort, wo Menschen gemeinsam und solidarisch handeln. Sie liebt Nachbarschaftsnetzwerke, in denen Menschen füreinander da sind – mit Zucker für Pfannkuchen, guten Büchern im Kreislauf und mit Zeit für gegenseitige Unterstützung. Für das Online-Magazin des Unverpacktverbandes spricht sie mit Unverpacktläden, die gemeinschaftlich wirtschaften und neue Wege gehen – gemeinschaftlich, nachhaltig, zukunftsfähig.
Du hast noch Fragen? Kontaktiere mich hier: office@unverpackt-verband.de

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