Wie aus der alten Lessing-Apotheke in Wolfenbüttel ein Unverpacktladen wurde. Und was das mit Kindheit, Jutebeuteln und echter Nachhaltigkeit zu tun hat.
Die Erinnerung ist fragmentarisch, aber lebendig: braune Glasgefäße, in denen Kräuter rascheln. Ein Geruch von Teemischungen und Salben. Eine Theke, über die nicht nur Medikamente, sondern auch Gespräche gereicht wurden. Karsten Roloff war vielleicht sieben Jahre alt, als er zum ersten Mal bewusst die Apotheke seines Vaters betrat. Und spürte, dass dies ein besonderer Ort war. Damals, in der „Alten Apotheke“ am Stadtmarkt in Wolfenbüttel, wurden Zäpfchen noch per Hand gegossen, Salben angerührt und Teemischungen lose abgefüllt. Verpackung? Spielte kaum eine Rolle. Vieles war regional, individuell, durchdacht. Heute, vier Jahrzehnte später, steht Karsten wieder hinter einer Theke. Nur dass dort nun Nüsse, Müslis und Gewürze abgefüllt werden. Und dass die Apotheke von einst ein Unverpacktladen geworden ist.
Als die Idee eines Unverpacktladens in Wolfenbüttel aufkam, war es Karstens Vater, der den Anstoß gab. „Er ist eigentlich ein Uralt-Öko“, sagt Karsten. „Schon vor 45 Jahren hieß es bei uns: Jute statt Plastik. “Eine der alten Jutetaschen der Apotheke hängt heute gerahmt im Laden. Als Erinnerung und Statement zugleich. o-Ve, ohne Verpackung liegt an der Hauptstraße zwischen Harz und Heide. In offenen Gläsern: Linsen, Tee, Reis. Es duftet nach Kaffee, manchmal auch nach Zimt oder Zitronenschale.
Wer eintritt, wird begrüßt, mit echtem Interesse, nicht mit einem Werbejingle. Die alten Apothekerschütten aus Glas, zufällig auf dem Dachboden entdeckt, haben wieder ihren Platz gefunden. Es wirkt fast wie eine logische Rückkehr zu einer Form des Einkaufens, die viele längst verloren glaubten.
„Die beste Verpackung ist die, die gar nicht erst entsteht“, sagt Karsten. „Wir sind ein Lebensmittelgeschäft. Aber eben eins, das nicht nur verkauft, sondern auch Haltung hat.“
Die Menschen, die bei o-Ve einkaufen, sind so vielfältig wie die Produkte in den Gläsern: Von Schulkindern, die sich nach dem Unterricht ein Stück Schokolade gönnen, über Auszubildende und Studierende, die den „Lernen-lohnt-sich-Rabatt“ nutzen, bis hin zu Senior:innen, die sich an alte Tante-Emma-Zeiten erinnert fühlen. „Wir haben hier alles – von 7 bis 77, manchmal auch drüber“, sagt Karsten. Es sind keine Kund:innen im Durchlauf, sondern Menschen, die wiederkommen. Nicht nur wegen der Lebensmittel, sondern auch wegen der Atmosphäre: persönlich, entschleunigt, zugewandt. „Bei uns fährt dir niemand mit dem Einkaufswagen in die Hacken. Und wer reinkommt, muss nicht mal was kaufen. Aber einmal lächeln, das muss schon sein.“
Einmal in der Woche, dienstags, kommt Karstens Vater vorbei, weil dann die gute Demeter-Milch vom Klostergut geliefert wird. Seine Mutter kauft Brot und Nüsse fürs Müsli. Die beiden sind längst in Rente, aber begleiten das Projekt mit wachem Interesse. „Mein Vater freut sich, dass ich wieder in der Stadt bin und dass ich etwas mache, was für ihn als Apotheker früher Alltag war“, sagt Karsten. Beratung, gute Produkte, ein offenes Ohr, das war schon immer Teil des Jobs. Und manchmal denkt er daran zurück, wie alles begann: mit dem Geruch von Kräutern, den weißen Kitteln, dem leisen Klirren der Waage. Vielleicht, so sagt er, sind die besten Ideen die, die in der Kindheit entstehen und ein Leben lang nicht verschwinden. Selbst wenn man dafür erst einmal um die halbe Welt reisen muss.
Anna-Zoë Schmidt ist Journalistin und kommt ursprünglich auch aus Niedersachsen, lebt aber inzwischen ganz woanders. Gerade deshalb freut sie sich umso mehr, dass es in ihrer alten Heimat heute einen so besonderen Laden wie Karstens gibt. Ihre eigenen Einkaufserinnerungen aus der Heimat sind geprägt von Discountern und Prospekten. Heute betreut sie beim Unverpacktverband die Redaktion und probiert mit Begeisterung neue Produkte aus den Regalen.
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